Das letzte Jahrhundert der Pferde

Geschichte einer Trennung

von Ulrich Raulff

 

Geschichte einer Trennung

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Produktinformationen

Seit Urzeiten war das Pferd der engste Partner des Menschen. Es war unverzichtbar in der Landwirtschaft, verband Städte und Länder, entschied die Kriege. Doch dann zerbrach der kentaurische Pakt, und in nur einem Jahrhundert fiel das Pferd aus der Geschichte heraus, aus der es Jahrtausende lang nicht wegzudenken war. Furios erzählt Ulrich Raulff die Geschichte eines Abschieds – die Trennung von Mensch und Pferd. Der Exodus des Pferdes aus der Menschengeschichte ist ein erstaunlich unbeachteter Vorgang. Ganze Bibliotheken zur
Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts schweigen sich aus über das Pferd, das gleichwohl in Europa und Amerika allgegenwärtig war – bis das letzte Jahrhundert der Pferde in der Zeit Napoleons anbricht und mit dem Ersten Weltkrieg ausklingt. Ulrich Raulff zieht in seinem neuen Buch alle Register der Kultur- und Literaturgeschichte und beschreibt mit beeindruckender Erzählkunst eine untergehende Welt – ein Kapitel vom Auszug des Menschen aus der analogen Welt.

  • 6. Auflage 2016
  • 461 Seiten, in Leinen
  • 85 Abbildungen im Text und 36 Abbildungen auf Farbtafeln
  • Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2016
  • Buch des Monats Dezember 2015 der Darmstädter Jury
  • SZ/NDR-Sachbücher des Monats Rang 4

Interview mit Professor Ulrich Raulff (R)/Erhard Schroll (SP), geführt am 12. Oktober 2016

 

"...es kann sein, dass mit der Enegergiewende die Pferde wiederkommen."

 

SP: Die Arbeitspferde und
deren Bedeutung für die
Entwicklung unserer Gesellschaft
und unserer Wirtschaft
wurden bisher allgemein eher
als Randnote der Geschichte
angesehen. Deshalb habe ich
mich sehr gefreut, als ich von
Ihrer Veröffentlichung gehört
habe, welche die Pferde in
den Mittelpunkt der Betrachtung
stellt. Ich habe Ihr Buch
als eine Würdigung verstanden
für den wichtigen Beitrag,
den die Pferde für die
Entwicklung der Menschheit
geleistet haben. War das die
Intention Ihrer Arbeit?


R: Ja, sicher. Ich wollte daran
erinnern, wie sehr die
Menschen in der gesamten
Zeit der Geschichte, nicht
nur der geschriebenen Geschichte,
sondern schon davor,
auf Pferde angewiesen
gewesen sind, wie eng sie
mit den Pferden zusammengelebt
haben und was für
eine besondere Beziehung
das war zwischen Menschen
und Pferden. Das fand ich,
bedurfte der Erinnerung. Ich
hätte auch, so wie ich das
Buch meiner Mutter gewidmet
habe, es zwei, drei Pferden
widmen können, die ich
als Kind und junger Mann
kannte und liebte und die mir
bleibenden Eindruck hinterlassen
haben. Ich hätte also
auch schreiben können: Für
Cora und Alex - wobei Alex
eben ein starkes Arbeitspferd
war.


SP: Über solche persönlichen
Bezüge zu einzelnen Pferden
liest man ja relativ häufi g.
Was aber meiner Meinung
nach bisher in der Literatur
gefehlt hat, war eine verallgemeinernde
Darstellung,
welche die Gesamtbedeutung
der Pferde hervorhebt.


R: Natürlich sind die Erinnerungen
und die Anekdoten
wichtig. Ich merke das auch,
wenn ich mit dem Buch irgendwo
auftrete und lese.
Dann stehen anschließend
Leute auf und sagen: Also
da muss ich Ihnen jetzt auch
mal eine Geschichte erzählen,
oder dazu fällt mir aber
noch das und das ein. Das ist
gerade das Schöne an einem
solchen Buch, dass es bei den
Lesern so viele persönliche
Erinnerungen weckt. Es ist
auch für den Autor sehr befriedigend,
wenn sein Buch
nicht nur als mehr oder minder
interessante Darstellung
gelesen wird, sondern wenn
es die Leute direkt in ihrem
Innersten, in ihren Erinnerungen
trifft.


SP: Sie sprechen davon, dass
die Trennung zwischen Pferd
und Mensch vollzogen, der
„kentaurische Pakt“ aufgehoben
sei, der enge, feste
Zusammenschluss zweier
Partner, die über Jahrtausende
gemeinsam die Geschicke
der Menschheit bestimmt haben.
In Deutschland gibt es
heute aber wieder eine große
Anzahl von Pferden - doch
keine Trennung?


R: Für die Sportreiter sieht
das sowieso alles anders aus.
Wenn ich Veranstaltungen
mache z.B. in Buchhandlungen,
dann sitzen da auch
immer viele Mitglieder des
örtlichen Reitervereins. Da
sind auch Leute darunter,
die nicht nur reiten, sondern
die auch fahren oder die gute
Sportpferde besitzen, Pferde,
die nicht nur zum Reiten oder
gar zum Springen benutzt
werden, sondern auch zum
Ziehen. Das geht schon bis
an den Rand, bis in die Überschneidungszone
zu den Arbeitspferden.
Und diese Leute
sagen mir dann natürlich,
schauen Sie mal, das stimmt
doch gar nicht mit dem Ende
des Pferdezeitalters. Und tatsächlich:
es gibt wieder über
eine Million Pferde in der
Bundesrepublik, und es gibt

über eine Million Leute, die
reiten; ich weiß nicht, wie viele
es gibt, die fahren und die
mit Pferden arbeiten. Aber es
gibt meines Wissen 300.000
Leute in der Bundesrepublik,
die von der Pferdewirtschaft
leben, die alles Mögliche
bereitstellen, damit wir mit
Pferden zusammen leben
können, dass es den Pferden
gut geht, dass die Pferde geheilt
werden, wenn sie krank
sind, dass wir Reiter-Ferien
machen können, und lauter
so nette Sachen.


SP: Die Freizeit- und Sportpferdeszene
hatte und hat
einen beachtlichen Einfl uss
auf unser Geschichtsbild. So
ist mir aufgefallen, dass beispielsweise
in den Deutschen
Pferdemuseen die Rolle des
Arbeitspferdes in der Regel
nur sehr kurz abgehandelt
wird.


 

 

R: Das ist richtig. Ich war
neulich in Verden an der Aller,
und vor kurzem erst war
ich im Deutschen Pferdemuseum
in Münster. Diese
Museen sind natürlich auch
alle ein bisschen durch die
örtlichen Zuchten geprägt.
In Verden an der Aller wird
natürlich der Hannoveraner
groß ins Bild gerückt, und
auch das Oldenburger Pferd,
aber das sind Sportpferde.
Sicher haben die noch eine
gewisse Dominanz. Aber ich
fi nde Ihre Pferde und Ihre
Klientel sind doch wieder
sehr im Kommen und rücken
auch wieder mehr ins Bild.
Man sieht das z.B. in München,
wenn da wie jüngst
das Oktoberfest beginnt und
die wunderbaren Bierwagen
durch die Stadt rollen und
sich die gesamte Münchner
Bevölkerung daran erfreut.
Das Arbeitspferd ist insgesamt
wieder stärker im Kommen
und fi ndet wieder mehr
Beachtung.

 

SP: Kann man die Genesung
und Auferstehung des todkranken
Pferdes im letzten
Abschnitt so verstehen, dass
es noch eine gewisse Hoffnung
auf eine mögliche Wiederkehr
gibt?


R: Ja, so meinte ich das auch,
symbolisch gesprochen. Das
ganze Buch beschreibt das
Ende des Pferdezeitalters,
und dann heißt das letzte Kapitel
noch einmal: Tod eines
Pferdes. Aber der letzte Satz
heißt: Er hatte überlebt.


SP: Sehen Sie eine Chance,
dass das Pferd im weitesten
Sinne wieder eine tragende
Zukunft für die Menschen
haben könnte?


R: Sagen wir einmal so: Es
hat eine tragende Gegenwart,
und zwar überall da,
wo wir mit Maschinen ans
Ende kommen, wo man mit
maschinellem Einsatz nicht
weiter kommt. Das können
Sie ja noch beim Holzrücken
im Schwarzwald oder im
Bayerischen Wald erleben
oder bei den Gebirgsjägern,
und an vielen anderen Orten.
Also da, wo Sie mit Maschineneinsatz,
mit Treckern,
mit Unimog usw. nicht mehr
weiterkommen, im unwegsamen
Gelände, da ist dann
das Pferd oder auch das Muli
der zuverlässige Freund und
Helfer und Träger des Menschen.
Das ist außerhalb von
Europa sicher noch sehr viel
bedeutsamer, in bestimmten
Gegenden und bei speziellen
Aufgaben. Sogar bei militärischen
Aufklärungs-Aufgaben
in Afghanistan sind Pferde
nochmals zum Einsatz gekommen…
Was in der Zukunft passiert,
zum Beispiel durch bevorstehende
ökologische Umbrüche,
durch ein Abrücken von
den jetzt momentan dominierenden
Energiequellen, also
fossilen Brennstoffen usw.,
welche Zukunft da dem Pferd
noch wieder blühen mag, das
können wir heute noch nicht
sagen. Vielleicht werden wir
eines Tages auch in unseren
Städten wieder die Pferde
einziehen sehen, weil wir das
Feinstaub-Problem anders
gar nicht mehr in den Griff
kriegen. Verstehen Sie, wenn
wir die Autos wieder aus den
Städten verbannen müssen,
weil wir sonst die Städte dicht
machen können, dann macht
uns vielleicht das Pferd das
Angebot der Stunde.


SP: Ich finde es sehr interessant,
dass innerhalb der
letzten zehn Jahre zwei Werke
veröffentlicht werden, die
ganz neue Aspekte in die
Geschichte der Menschheit
einbringen: Ihr Buch und das
Buch von Wolfgang Behringer
„Die Kulturgeschichte
des Klimas“. Beide haben in
irgendeiner Form mit Energie
zu tun.


R: Richtig, Behringer hat ja
das Buch über den Ausbruch
des Tambora gemacht. Als
dessen Aschewolke den Himmel
verdüstert und zu Missernten
führt, die Pferde kein
Futter mehr kriegen, die Leute
auswandern usw., da setzt
ja zum ersten Mal die Rede
vom Ende des Pferdezeitalters
ein, und dass die Pferde
ersetzt werden müssen durch
technische Mittel; da erfi ndet
der Freiherr von Drais
sein Laufrad. In den Jahren
um 1817 ist zum ersten Mal
von einer Energiewende die
Rede. Wir reden jetzt auch
wieder von einer bevorstehenden
Energiewende, und
es kann sein, dass mit ihr
die Pferde wiederkommen.
Das ist im Moment noch alles
offen, und ich kann es mir
durchaus vorstellen.


SP: Wir auch und deswegen
arbeiten wir daran, Chancen
auszuloten und Möglichkeiten
aufzuzeigen. Wir freuen
uns, dass Sie uns durch Ihre
Veröffentlichung darin unterstützen.


R: Ich wünsche Ihnen viel
Glück dabei.


SP: Herr Professor Raulff,
ich bedanke mich recht herzlich,
dass Sie sich die Zeit genommen
haben und wünsche
Ihnen weiterhin noch viel Erfolg
mit Ihrem Buch.

Der Autor

 

Ulrich Raulff ist Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar. Zuvor war er u. a. Feuilletonchef der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Er hat Bücher über Marc Bloch
und Aby Warburg geschrieben und für seine Arbeiten den Anna-Krüger-Preis für wissenschaftliche Prosa und den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik erhalten. Sein bei C.H.Beck erschienenes Buch „Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“ wurde 2010 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch ausgezeichnet.

 


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